Z: Z-Wort

Von Marah Göttsch

„Wir sind Teil der deutschen Identität und der deutschen Kultur.”

„Sinti und Roma sind Menschen wie du und ich auch“, trotzdem werden sie seit Jahrhunderten diskriminiert, sagt Rinaldo Strauß. Er ist stellvertretender Geschäftsführer des Verbands Deutscher Sinti und Roma in Hessen und spricht über die Geschichte der Sinti und Roma und über den Antiziganismus, also den Hass und die Anfeindungen gegen Menschen wie ihn.

Wer sind die Sinti und Roma denn überhaupt?

Sinti und Roma sind zwei Gruppen, die denselben Ursprung hatten: Nordwestindien, das heutige Pakistan. Sie haben eine gemeinsame Grundsprache, die sich im Laufe der Jahrhunderte verändert hat. Vor allem: Sinti und Roma sind Menschen wie du und ich auch.

Jeder kennt das Z-Wort. Wieso fühlen sich Sinti und Roma von diesem Wort diskriminiert?

Es ist eine Fremdbezeichnung seitens der Mehrheitsgesellschaft für die Minderheit. Außerdem werden dem Wort viele Dinge zugeschrieben, von Kriminalität bis Asozialität, aber „den” Zigeuner gibt es nicht. Es ist eine Projektion und eine Vorstellung, die immer wieder auf Menschen übertragen wurde und immer noch wird. Diese Menschen wurden zu Zigeunern gemacht und dadurch zu Opfern von Antiziganismus.

Woher kommen diese Stereotypen, diese sogenannten „Zigeunerbilder“?

1407 kamen Sinti und Roma erstmals im deutschsprachigen Raum an, für 300 Jahre galt die Minderheit als vogelfrei. Geprägt wurde das Bild zum Beispiel durch Werke wie die Chronik von Sebastian Münster der 1550 schrieb, wie Zigeuner denn seien. Dass zu ihren Eigenschaften Kriminalität und Asozialität zählten, dass sie Ratten fressen, religionslos seien und wie die Hunde leben. Nimmt man ein Buddenbrook aus den 1970ern oder 1980ern, steht da heute natürlich in angepasster Sprache, noch immer dasselbe wie bei Münster, nämlich dass Sinti und Roma asozial und kriminell seien.

Auch die Nazis haben das aufgegriffen und weitergeführt und haben unsere Menschen in KZs geführt und umgebracht. Auch die Rechtsprechung nach 1945 hat die Taten entschuldigt, denn die Sinti und Roma seien ja als Präventionsmaßnahme in die KZs gekommen, da sie wie die Juden nicht arisch waren und außerdem asozial und kriminell seien. Eine Entschuldigung für diese Aussage kam erst 60 Jahre später. Da sieht man, wie tief der Antiziganismus in den Köpfen der Menschen vorhanden ist.

Wo findet man heute Antiziganismus in unserem Alltag?

Überall. In dem Film „Alltagsdiskriminierung“ von unserem Verband haben wir bewusst Menschen von 10 bis 50 Jahren ausgesucht, um zu erfahren, wie sie Alltagsdiskriminierung erleben und wo sie ihn überall sehen: in der Schule, beim Einkauf, beim Arzt, bei der Behörde, bei der Arbeit, in der Nachbarschaft. Überall wo man auf Menschen trifft, die die Vorstellung haben, Sinti und Roma seien Zigeuner. Umfragen aus der „Mitte“-Studie der Universität Leipzig belegen das fast jedes Jahr aufs neue. Diese Minderheit hat die größte Diskriminierungserfahrung in Deutschland.

Haben sie Beispiele für Antiziganismus aus ihrem eigenen Leben?

Meine Frau und ich haben nach der Hochzeit eine Wohnung gesucht. Am Telefon war immer alles wunderbar, sobald ich zur Besichtigung kam – dadurch, dass ich ein bisschen dunkler bin als die Mehrheit – haben wir die Wohnung doch nicht bekommen. Das kann einmal passieren, das kann zweimal passieren, aber nach zehn mal macht man sich seine Gedanken.
Ein anderes Beispiel ist meine Frau, die bei der Einstellung zur stellvertretenden Geschäftsführerin einer Modekette gesagt bekam: „Wir stellen keine Polen und keine Zigeuner ein, weil die klauen.“ Meine Frau hat sich dort deshalb natürlich nicht geoutet.

Gibt es Darmstädter Ereignisse, die gezielt antiziganistisch waren?

Ja, in den 1980er Jahren gab einen Hausabriss, bei dem der damalige Oberbürgermeister das Haus einer Familie der Minderheit abreißen ließ, während diese im Urlaub war. Er wollte den Abriss mit einer fadenscheinigen Begründung rechtfertigen, der später Betreuer der Familie und die Kirchen widersprachen. Der Bürgermeister wollte die Familie einfach loswerden. Er wurde danach richterlich aufgefordert, die Familie wieder in Darmstadt anzusiedeln, was meines Wissens aber nie passiert ist.

Was kann man gegen diese Diskriminierung tun?

Es gibt verschiedene Ansätze. Der Ansatz unseres Verbands ist Aufklärung über die Bedeutung von Antiziganismus, damit man sich selbst hinterfragt und seine Vorurteile überdenkt. Es gibt natürlich auch andere Ansätze, zum Beispiel Empowerment: Das ist auch unser Land, wir sind seit 600 Jahren hier und wollen das Land mitgestalten. Wir sind Teil der deutschen Identität und der deutschen Kultur.