X: Xenophobie

Von Marah Göttsch

Wenn man sich fremd im eigenen Land fühlt

„Noch ein ‚Ebbelwoi’ für mich bitte!“ ruft ein älterer Mann dem jungen Kellner zu, der damit beschäftigt ist, Servietten auf die Tische zu legen. Draußen ist es heiß, der Gasthof ist an diesem Mittag noch relativ leer, nur eine Handvoll Männer sitzen vereinzelnd mit ihren Zeitungen und einem Bier schweigsam am Tisch. Der Gasthof ist umgeben von Wald, an warmen Sommertagen können die Gäste draußen auf der Terrasse sitzen, die kämen aber erst gegen 18:00 Uhr, erzählt Ensar. Er ist 22 Jahre alt, ist groß und schlank und hat dunkle Haare. Lässig, sitzt er auf einem Plastikstuhl im Schatten eines Sonnenschirms und raucht eine Zigarette. Seinem Onkel, den alle liebevoll „Musti“ nennen, gehört der Gasthof in der kleinen Stadt im Hochtaunusgebiet. Er helfe seinem Onkel als Kellner, schon seit Jahren und so gut wie jeden Tag nach seiner eigentlichen Arbeit, erzählt er.

Ensar’s Opa kommt aus dem Norden der Türkei mit seinen sechs Kindern in den 1980er Jahren nach Deutschland. Sie wohnen alle zusammen in einem Zimmer im Asylheim, während sein Uropa als Maurer versucht, in Deutschland Fuß zu fassen.
Ensar’s Onkels nahmen einen Putzjob nach dem anderen an, bis „Musti“ durch einen Freund in den Neunzigern seine erste Kellerbar eröffnet. 2002 sucht ein Besitzer eines Hofs einen Pächter, der den Gasthof weiterführen möchte: Sein Onkel sagt zu. Es ist die Geschichte vieler Hilfsarbeiter, die mit ihren Familien nach Deutschland kamen, um hier ein neues Leben anzufangen. Ohne die Sprache zu sprechen und ohne jemanden zu kennen, der ihnen dabei hilft, in einem fremden Land Anschluss zu finden.

Er ist Teil der zweiten Generation seiner Familie, die in Deutschland lebt. Obwohl er in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, gibt es Situationen in seinem Leben, in denen er sich im eigenen Land fremd fühlt, vor allem in den ersten Jahren seiner Schulzeit.
In der ersten Klasse bekommt er die Lehrerin, die schon seinen Cousin auf die Sonderschule schicken wollte, da sein Verhalten „so anders“ sei, als das der anderen. Aus Angst, dass ihrem Sohn dasselbe widerfahren könnte, schicken seine Eltern ihn in die Schule der benachbarten Stadt. „Dort war ich der einzige Ausländer auf der gesamten Schule“, erzählt er. Immer wieder fällt ihm auf, dass er anders als die anderen deutschen Kinder ist. „Natürlich merkt man das, wenn man sein Essen in der Schule auspackt und die anderen Kinder sagen, das rieche komisch, oder man gefragt wird, warum seine Mama Kopftuch trägt, auch wenn es draußen so heiß ist“, sagt Ensar. Da er muslimisch aufwächst, besucht er nicht den christlichen Religionsunterricht der Schule, sondern muss sich wahrend alle Kinder im Religionsunterrichts sind, alleine in der Bibliothek beschäftigen.
Beim Elternabend in der Grundschule nimmt Ensar’s Mutter seine Cousine mit, damit sie ihr helfen kann, alles zu verstehen, dies habe sich dann in der Klasse herumgesprochen.
Bis er 17 ist, spielt er leidenschaftlich Fußball, doch auch auf dem Spielfeld werden er und andere ausländische Spieler mit dem K-Wort beschimpft. Einmal habe er daneben geschossen und anschließend aus der Zuschauertribüne als „Kümmeltürke“ beschimpft worden sein, erzählt er ernst. „Das alles hat mir geholfen, mich zu integrieren, aber es war auch so, als wäre ich in ein Haifischbecken geschmissen worden“, sagt Ensar nachdenklich.

Der Gasthof von Ensar’s Onkel serviert vom „Handkäs‘ mit Musik“ bis zum panierten Schnitzel alles, was man sich unter typisch deutscher Küche vorstellt. Die Menschen kämen gerne her, vor allem ältere Menschen, erzählt er. „Oft kommen aber Sprüche von Gästen wie, ‚Bei dem Türken gibt’s leider die besten Schnitzel‘, was vielleicht nicht einmal böse gemeint ist, mich aber natürlich trotzdem angreift.“ Er schüttelt den Kopf, während er davon erzählt. Auch die Stammtische seien oft problematisch, nach zwei Bier würden viele ältere deutsche Männer anfangen, politische Debatten zu führen und ausländerfeindliche Meinungen zu vertreten, während sie im Gasthof eines Türken sitzen und von seinem Neffen bedient werden. „Ich sei ja einer von den Guten bekomme ich oft zu hören“ er verdreht die Augen. Dadurch, dass er besser integriert sei als andere, würden viele denken, dass sie mit ihm gemeinsam über „die anderen“ lästern könnten.

Über die Jahre seien die xenophoben Erfahrungen in seinem Leben weniger geworden. Aber wenn ihn seine Mutter bei Telefonaten zur Hilfe holt und sie viel netter zu ihm, als zu seiner Mutter seien, merke er die Mikroaggressionen, die Menschen in den Weg gelegt werden, die anders sind, als die deutsche Mehrheitsgesellschaft.